Samstag, 24. November 2012

Alois im Unglück

Was sieht wohl
Alois Glück darin?
Im Jahre 1924 hat ein heute ganz und gar vergessener Schriftsteller namens Carl Christian Bry ein kleines Büchlein über die "Verkappten Religionen" herausgegeben. Er beschreibt darin die seinzeit (und nicht nur seinerzeit) um sich greifende Neigung zu ideologisch bedingter Irrationalität. Eine kleine Leseprobe:
"Man spreche einmal mit einem Menschen, dem etwa der Antisemitismus zur verkappten Religion geworden ist, über das Salzfaß auf dem Eßtisch. Sein besessener, nach Bestätigung hungernder Geist wird nach zwei Sätzen bei der These angekommen sein, daß schon die alten Juden beim Salzhandel aus Phönizien betrogen hätten oder daß der Prozentsatz jüdischer Angestellter in den staatlichen Salinen viel zu hoch sei. Er ist positiv unfähig geworden, ein Salzfaß zu sehen".
Dieser Satz ging mir heute durch den Kopf als ich auf katholisch.de die folgende Nachricht las:
Der katholischen Kirche droht nach Ansicht von Alois Glück ein Bedeutungsverlust in der deutschen Politik. In einem Interview verwies der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Kahtoliken (ZdK) am Donnerstag in Bonn auf die bevorstehenden Bundestagswahlen im Jahr 2013. 
"Es ist davon auszugehen, dass es in der neuen Legislaturperiode deutlich weniger Abgeordnete geben wird, die explizit aus dem kirchlichen Milieu kommen", so Glück. 
Offensichtlich fänden sich derzeit immer weniger Menschen aus dem Umfeld der Kirche bereit, ein öffentliches Amt auszuüben, weil sie befürchten müssten, für ihre politischen Entscheidungen innerkirchlich angefeindet zu werden.
Nun ist an seiner Prognose, dass dem nächsten Bundestag weniger Mitglieder aus dem kirchlichen Milieu angehören werden, wohl kaum zu rütteln. Wie sollte es auch anders sein, wenn dieses Milieu seit Jahrzehnten einem kontinuierlichen Schrumpfungsprozess unterzogen ist?

Eine solch' naheliegende Erklärung aber kommt dem Herrn ZDK-Präsidenten nicht in den Sinn. Es gibt eben immer eine Wahrheit hinter der Wirklichkeit und die lautet: die bösen Bischöfe sind an allem Schuld. Die Heerscharen für den deutschen Bundestag geeigneter Katholiken (pardon: Katholikinnen und Katholiken) - begierig darauf, für die katholische Sache öffentlich zu streiten - kandidieren nicht, weil sie sich vor "innerkirchlicher Anfeindung" fürchten. Dass man nicht selbst darauf gekommen ist!

Man wüsste doch zu gerne, was Herr Glück unter einer durch Parlamentarier garantierten "Bedeutung der katholischen Kirche in der deutschen Politik" versteht. Täuscht man sich oder steht der tapfere Norbert Geis nicht regelmässig einsam auf weiter Flur, wenn er für die Bedeutung des christlichen Familienbildes und den unbedingten Lebensschutz kämpft? Oder hängt die "Bedeutung der Kirche" etwa an den kirchenpolitischen Dummheiten, die die Lammert und Genossen regelmässig, am besten anläßlich von Papstbesuchen, in die Mikrophone plappern?

Im Jahre 2002 hatte ich das Vergnügen, im Auftrag eines deutschen Bischofs ein Gespräch mit Alois Glück (damals noch Fraktionsvorsitzender der CSU) zu führen. Es ging um die Forschung an embryonalen Stammzellen und gemeinsam mit einem Kollegen versuchte ich Herrn Glück davon zu überzeugen, dass wenigstens die CSU eine klare Position einnehmen sollte. Der Versuch war vergebens - Alois Glück votierte nicht nur für die Stichtagsregelung, sondern beschwerte sich anschließend auch bei meinem Doktorvater Hans Maier über die "fundamentalistischen jungen Leute", die da bei ihm gewesen seien.

Die Herrn Glück damals vorausgesagte Entwicklung hat ihren Lauf genommen: Verlängerung der Stichtagsregelung im Jahre 2008, Freigabe der PID im Jahre 2010. Das Thema ist politisch und gesellschaftlich "durch" - so ist das mit der Bedeutung der katholischen Parlamentarier in der deutschen Politik.